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Berichte zur TAN-Tagung 2006


 Tageszeitung junge Welt    vom 17.2.2006

Kritische Theorie und Tiere

Am Institut für Politikwissenschaften der Universität Hamburg treffen sich von Freitag 17.2. bis Sonntag 19.2.2006 Adorno- und Horkheimer-bewegte Tierrechtler zur Diskussion »einer kritischen Theorie zur Befreiung der Tiere«. Referenten wie Christoph Türcke, Gunzelin Schmid-Noerr, Marco Maurizi oder Susann Witt-Stahl werden Perspektiven einer »linken, antispeziesistischen Tierrechtsbewegung« aufzeigen.


Max Horkheimer, Mitbegründer der Frankfurter Schule, hat in seinem Aufsatz »Wolkenkratzer« von 1934 die Tiere als die unterdrückteste aller Klassen im Kapitalismus bezeichnet. Zehn Jahre später kritisierte Theodor W. Adorno in »Minima Moralia«, daß Karl Marx es den Tieren »nicht einmal gönnt, daß sie als Arbeitende Mehrwert liefern«. Ende der 1960er wurde Herbert Marcuse gefragt, welches Projekt nach der Befreiung der Gesellschaft anzugehen sei. Er antwortete: »Die Tiere befreien natürlich.«

 

 

 

Der Wolkenkratzer


„...unterhalb der Räume, in denen millionenweise die Kulis der Erde krepieren, wäre dann das unbeschreibliche, unausdenkliche Leiden der Tiere, die Tierhölle in der menschlichen Gesellschaft darzustellen, der Schweiß, das Blut, die Verzweiflung der Tiere.“ (aus Max Horkheimer)

Die Vernunft des Menschen, mit der er Tag für Tag unsagbares Leiden über die Tiere bringt, ist nicht nur ein Herrschaftsorgan – sie birgt auch die Möglichkeit der Versöhnung mit der Natur und der Befreiung derer, mit denen der Mensch durch Vergangenes eins ist. Der Ausstieg aus dem Zwang blinder Naturbeherrschung bedarf der „Selbsterkenntnis des Geistes als mit sich entzweiter Natur“, schrieben Theodor W. Adorno und Max Horkheimer in ihrer „Dialektik der Aufklärung“. Der Mensch muss so vernünftig werden, dass er „aus der Befangenheit der Natur erwacht“, so Horkheimer, nicht freilich, „um diese zu beherrschen, sondern um sie zu begreifen.“ Er muss seine Verhärtung gegen die Natur und die Tiere aufgeben und schließlich das „steinerne Herz der Unendlichkeit“ erweichen.


Der Mitbegründer der Kritischen Theorie Max Horkheimer hatte mit seinem „Wolkenkratzer“, den er 1934 in seiner Aphorismen-Sammlung „Dämmerung. Notizen in Deutschland“ veröffentlichte, einen guten Anfang gemacht. Er hatte die Tiere in den kapitalistischen Gesellschaftsbau aufgenommen und als die unterdrückteste aller Klassen anerkannt. Rund zehn Jahre später kritisierte Theodor W. Adorno in „Minima Moralia“, dass Karl Marx es den Tieren „nicht einmal gönnt, dass sie als Arbeitende Mehrwert liefern“.

Mit der Anerkennung der Tiere als Erniedrigte und Geknechtete haben die beiden bedeutendsten Vertreter der Frankfurter Schule eine kopernikanische Wende des tradierten (marxistisch-leninistischen) Naturverständnisses, Vernunft- und Herrschaftsbegriffs vorgezeichnet, die freilich nie vollzogen wurde: Die Herrschaft des Menschen über die Tiere wurde nun nicht mehr als ewig gültiges „Naturgesetz“ hingenommen. Die Frankfurter haben sie als etwas gesellschaftlich, geschichtlich Gewordenes erkannt, das gesellschaftlich, geschichtlich überwunden werden kann. Ende der sechziger Jahre räumte ein weiterer Protagonist der Kritischen Theorie den Tieren einen Platz an der Seite der Menschen im Reich der Freiheit ein. Gefragt in einem Interview, welches Projekt er angehen werde, nachdem die befreite Gesellschaft Wirklichkeit geworden sei, antwortete Herbert Marcuse: „Die Tiere befreien natürlich.“


In dem Wissen, dass die Mauern des „Wolkenkratzers“, in dem Tiere und Menschen eingekerkert sind, im Spätkapitalismus so schwer durchdringbar sind wie nie zuvor, wollen wir aber (noch) nicht vom Reich der Freiheit reden, sondern an dem kopernikanischen Wendepunkt ansetzen, den die Frankfurter mit ihrer Kritischen Theorie markiert haben.

 

Franz Marc: Tierschicksale

Tagungsprogramm: Klick hier

17. bis 19. Februar 2006, Uni Hamburg, Institut für Politische Wissenschaft, AllendePlatz 1, Eintritt frei. Infos: www.tierrechts-aktion-nord.de

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vom 17.02.06


Tiere, Tat und Theorie


von Volker Stahl, Hamburg

Die Hamburger Gruppe Tierrechts-Aktion-Nord (TAN) macht nicht nur gegen Jäger, Kürschner und Schlachter mobil – sie leistet sich seit einigen Jahren auch Theoriearbeit. Am Wochenende laden die Tierrechtler zu einer internationalen »Tagung für eine kritische Theorie zur Befreiung der Tiere nach Hamburg. Ab Freitag werden teils hochkarätige Referenten an der Uni vorsprechen – gemeinsame Plattform ist das Gedankengebäude der Frankfurter Schule um Theodor Adorno, Max Horkheimer und Herbert Marcuse.


»Die Kritische Theorie hat die Tiere nicht nur als empfindungsfähige Individuen anerkannt – sie hat auch erkannt, dass die Herrschaft des Menschen über die Tiere kein ewig gültiges Naturgesetz ist«, erklärt TAN-Sprecher André Krebber den theoretischen Ansatz der Frankfurter. In ihren Vorträgen begeben sich die Wissenschaftler wie Ben Watson und Esther Leslie bisweilen auf weitgehend unerforschtes Terrain: Der italienische Philosoph Marco Maurizi referiert über »Marxismus und Tierbefreiung«, der Leipziger Professor Christoph Türcke, Dauergast in den Feuilletons großer Tageszeitungen, philosophiert in Hamburg über die »Grenzen der Gleichstellung von Mensch und Tier« und der Herausgeber von Max Horkheimers gesammelten Schriften, Gunzelin Schmid Noerr, macht sich Gedanken über das »Mitleid mit der gequälten Kreatur« und die »Anwesenheit Schopenhauers in der Kritischen Theorie«. Höhepunkt der Veranstaltung dürfte allerdings der Beitrag von Colin Goldner werden. Der Psychologe und Kulturanthropologe, der mit kritischen Veröffentlichungen über »Die Psychoszene« bekannt wurde, widmet sich dem brisanten Thema »Tierrechte und Esoterik« – und warnt vor der Unterwanderung der Bewegung durch Kirchen, rechte Kultgemeinschaften und Esoteriker. Auf der – im Übrigen öffentlichen und kostenfreien – Tagung kommen auch drei erfahrene Aktivisten zu Wort, Themen werden Tierliebe, Tierschutz, Widerstandsrecht und der »Holocaust-Vergleich« sein. Dabei wird sicher auch Herbert Marcuse zitiert. Der antwortete einst auf die Frage, welche Projekte er angehen werde, nachdem die befreite Gesellschaft Wirklichkeit geworden ist: »Die Tiere befreien natürlich.«

17. bis 19. Februar, Uni Hamburg, Institut für Politische Wissenschaft, Allendeplatz 1.

 

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"Tagung für eine kritische Theorie zur Befreiung der Tiere“ in Hamburg

von David Goldner

Der weitverbreiteten Theoriefeindlichkeit bzw. Theorielosigkeit der Tierrechtsbewegung konnte die in Hamburg ansässige „Tierrechts-Aktion Nord” (TAN) - bekannt nur durch ihren kompromißlosen Einsatz gegen Jäger, Kürschner und Schlachter, sondern eben auch durch Theoriearbeit auf hohem Niveau - mit einer „Tagung für eine kritische Theorie zur Befreiung der Tiere“ vom 17. bis 19. Februar 2006 erfolgreich etwas entgegen setzen. Die in den Räumen des Instituts für Politische Wissenschaft der Universität Hamburg stattfindende Tagung war überraschend gut besucht.

Eine klare Abgrenzung von bürgerlichem Tierschutz einerseits und letztlich antihumanistischen Positionen, die unter dem Deckmantel einer „Tierrechtsethik“ unter anderem von rechten Kultgemeinschaften und Sekten vertreten werden andererseits, wurde von den OrganisatorInnen und ReferentInnen als unabdingbar angesehen. Der Münchener Psychologe Colin Goldner referierte ausführlich über die neuapostolische Glaubensgemeinschaft „Universelles Leben“ und ihre intensiven Bemühungen, Einfluss auf die Tierrechtsszene zu nehmen. Er kritisierte die oftmals naive Akzeptanz des UL in Teilen der Tierrechsbewegung, wie sie insbesondere durch den österreichischen Philosophen Helmut Kaplan, einen der Gurus der Szene, vorgemacht werde.
 
Ausgangspunkt für TAN ist die von den kritischen Theoretikern Theodor W. Adorno und Max Horkheimer mit der Anerkennung der Tiere als Erniedrigte und Geknechtete vorgezeichnete „kopernikanische Wende": Die Herrschaft des Menschen über die Tiere wird nicht mehr als ewig gültiges „Naturgesetz“ hingenommen, wie die Philosophen Marcus Hawel und Marco Maurizi in ihren Vorträgen referierten, vielmehr als etwas gesellschaftlich und geschichtlich Gewordenes erkannt, das überwunden werden kann und muss: „Es ist die Art und Weise, in der die menschliche Gesellschaft organisiert ist, aus der heraus wir den Ursprung des Speziezismus erklären müssen,“ so Maurizi. Interessant in diesem Zusammenhang war auch Michael Fischers Vortrag, der auf die strafrechtliche Behandlung von Tieren im Mittelalter einging. Während Tiere damals im allgemeinen als Objekte galten, wurden sie in Strafprozessen als Folge einer „spezifischen Problemlösungsstrategie“ als Subjekte behandelt. Heute sei es umgekehrt: Während sie im gesetzlichen Tierschutz als Rechtssubjekte gelten, die gewisse Rechte haben, werden sie meist als Objekte behandelt.
 
Einen breiteren Raum nahmen auf der Tagung die Diskussionen über Sinn und Unsinn einer „Tierethik“, sowie über die Begriffe „Moral“ und „Mitleid“ ein. Gunzelin Schmid-Noerr, Herausgeber von Max Horkheimers gesammelten Schriften, bot mit seinem Vortrag über Schopenhauers Begriff des „Mitleids“ und dessen Anwesenheit in der Kritischen Theorie eine gute Diskussionsgrundlage. Für eine antispeziezistische Idoelogiekritik anstelle einer überkommenen „Tierethik“ plädierte Günter Rogausch, Pädagoge und Tierrechtsaktivist der ersten Stunde. Tierliebe und Tierschutz seien lediglich „Ausdruck einer paternalistischen Haltung nichtmenschlichen Tieren“ gegenüber, die zu kritisieren sei. In diesem Zusammenhang räumte Rogausch mit dem Mythos auf, der von der Tierrechtsbewegung als Vordenker gefeierte Jurist und utilitaristische Philosoph Jeremy Bentham (1748-1832) habe sich gegen Speziezismus und für Tierrechte eingesetzt. Der Leipziger Philosoph Christoph Türcke wies darauf hin, dass eine „Ethik“ grundsätzlich nur ein „Notbehelf für Abwägungen in Zwangssituationen“ sei. Diese Zwangssituationen seien aufzuheben, denn frei sei erst, wie es in der „Negativen Dialektik“ heiße, wer sich nicht zwischen Alternativen entscheiden müsse. In seinem Vortrag über die Grenzen der Gleichstellung von Mensch und Tier machte Türcke darauf aufmerksam, dass die Frage, ab wann ein Mensch ein Mensch sei, gerade wegen der Zunahme wissenschaftlicher Erkenntnis immer schwerer zu beantworten sei.
 
Des leidigen Themas von KZ- und Holocaust-Vergleichen mit Schlachthöfen und Legebatterien, wie sie von Teilen der Tierrechtsszene, Helmut Kaplan und die Organisation PeTA vorneweg, vertreten werden, nahm sich TAN-Mitglied und Kongreßmitorganisatorin Susann Witt-Stahl an. Dem Herrschaftsverhältnis Mensch-Tier-Natur sei mit oberflächlichen Vergleichen von Phänomenen und provokativen Gleichsetzungen nicht beizukommen. Es bedürfe hierzu ausführlicher wissenschaftlicher Analysen und einer umfangreichen dezidierten Herrschaftskritik. Von den Holocaust-Vergleichen grenzte sie sich insofern scharf ab. Weitere Vorträge, etwa der TierrechtlerInnen Ben Watson und Esther Leslie aus London oder von Melanie Bujok, Vordenkerin und Aktivistin der Kampagne „Stop Huntingdon Animal Cruelty”, dazu Diskussionen und Filmvorführungen, machten die Tagung zu einem Meilenstein in der Fortentwicklung einer kritischen Theorie zur Befreiung der Tiere.

Es bleibt zu hoffen, dass die Inhalte der Tagung durch die BesucherInnen selbst sowie die für Herbst 2006 im Alibri-Verlag geplante Dokumentation weite Verbreitung in der Tierrechtsszene und darüber hinaus finden werden.
 
  Materialien und Informationen zur Zeit, 1/2006, S. 31f.

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Das Buch mit den Tagungbeiträgen. Näheres hier

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Schritte auf einer wackeligen Brücke


Kongress für eine kritische Theorie zur Befreiung der Tiere in Hamburg

von Tina Möller

Hamburg, 17.-19. Februar 2006: Ein großes, blauweißes Transparent mit der Aufschrift „ANIMAL LIBERATION – Solidarität mit den Opfern speziesistischer Gewalt“ überragte die Rednertische. Im großen Seminarraum des Instituts für Politische Wissenschaft an der Hamburger Universität beschäftigten sich drei Tage lang unterschiedliche ReferentInnen mit einem Thema, das bisher immer noch weitgehend aus öffentlichen Debatten herausgehalten bzw. kleingehalten wird, das immer noch belächelt wird: Das menschliche Verhältnis zu den Tieren. Dabei ging es vor allem um die Reflexion des Mensch-Tier-Verhältnisses im Zusammenhang mit allgemeinen gesellschaftlichen (Macht-)Verhältnissen.

Der Kongress, der von der TAN (Tierrechts Aktion Nord) konzipiert und durchgeführt wurde, trug den Namen „...dass der Mensch das steinerne Herz der Unendlichkeit erweicht“ in Anlehnung an ein Zitat von Max Horkheimer. Der Mitbegründer der Kritischen Theorie mahnte, dass die menschliche Verhärtung gegen die Natur aufzulösen sei. In diesem Sinne wurde die Tagung von den VeranstalterInnen auch konzipiert, um den Tierbefreiungsgedanken mit der Philosophie der Kritischen Theorie zu verbinden. „Wir verstehen unseren Kongress als Experiment: Denn wir wollen eine wackelige Brücke beschreiten, die die Kluft zwischen dem traditionsreichen Marxismus und einem vergleichsweise jungen herrschaftskritischen Naturverständnis verbunden mit dem noch theoriearmen Tierbefreiungsgedanken überwinden könnte“ erklärte die hauptsächliche Organisatorin des Kongresses, Susann Witt-Stahl einleitend. Dabei stellte sie heraus, dass es um eine Theorie gehe, „die nicht nur vielleicht, sondern unbedingt eine unverbrüchliche Solidargemeinschaft des Menschen mit allen quälbaren Körpern zum Ziel hat“.

Elf ReferentInnen unterschiedlicher Herkunft widmeten sich bei diesem Kongress dem Verhältnis zwischen Mensch und Tier. Dies erfolgte dabei nicht immer aus marxistischer Perspektive. Zu den RednerInnen gehörten Michael Fischer, Agnese Pignataro, Christoph Türcke, Marcus Hawel, Ben Watson & Esther Leslie, Marco Maurizi, Gunzelin Schmid Noerr, Colin Goldner, Günther Rogausch, Melanie Bujok und Susann Witt-Stahl.


Es waren zum Teil neue Gedankenexperimente, vor allem bei ReferentInnen, die sich erstmalig dem Thema Mensch-Tier-Verhältnis öffneten. Andere RednerInnen hingegen demonstrierten ihre jahrelangen Auseinandersetzungen mit der Mensch-Tier-Thematik und brachten ihre neuen weitgedachten Erkenntnisse zum Ausdruck. Die Vorträge reichten von rein informellen und alltagsverständlichen Ausführungen bis hin zu hochkomplexen philosophischen oder sozialwissenschaftlichen Überlegungen. Dabei zeigte sich eine Fülle von unterschiedlichen Ansichten und Einsichten, die auch für Diskussionsstoff sorgten.

Als ein Ergebnis des Kongresses erscheint im November 2006 ein Sammelband, in dem alle Vorträge wiedergegeben werden. Außerdem wird diese Sammelschrift auch einen tierrechtskritischen Beitrag von Arnd Hoffmann enthalten, dessen angekündigter Vortrag beim Kongress ausgefallen war.

Im Folgenden werden einige Beiträge kurz vorgestellt:


Der Kriminologe Michael Fischer beschrieb in seinem Referat „Tiere als Rechtssubjekte“ über historische Phänomene von Personifizierungen von Tieren, die in unserem heutigen Gesellschaftssystem als höchst irrational erscheinen: So wurden vom Mittelalter bis in die frühe Neuzeit in verschiedenen europäischen Ländern Tiere als Rechtssubjekte konzipiert, in dem sie bei bestimmten „Vergehen“ ihrerseits vor Gericht gestellt wurden. So berichtete er beispielsweise, dass ein Schwein per Gerichtsurteil auf einem öffentlichen Platz hingerichtet wurde, weil es ein Kind getötet und gegessen haben soll. Berichten zufolge sollen sogar Ratten vor ‚strafrechtlichen’ Vernehmungen ausgenommen worden sein, weil sie auf dem Weg zum Gericht von Katzen hätten aufgelauert werden können. So absurd es sich anhört: „Ein genauerer Blick auf die Tierprozesse sowie […] das moderne System der tierschutzrechtlich geregelten industrialisierten Tierausbeutung offenbart […], dass die moderne Gesellschaft keineswegs eine rationalere Konzeption des Status der Tiere entwickelt hat.“

Marco Maurizi aus Rom fragte in seinem Beitrag „Die Zähmung des Menschen als introjizierter Speziesismus“: Gibt es eine implizite Verbindung zwischen Sexismus, Rassismus und Speziesismus, wie viele TierrechtsaktivistInnen argumentieren? Und von welcher Art ist solche Verbindung? Dabei konstatierte Maurizio, dass aus historischer Sicht nicht ersichtlich wäre, dass die Herrschaft über Tiere die Voraussetzung der Gewalt über Frauen und andere „Rassen“ sei. Aber auch aus theoretischer Perspektive stellte er in Frage, ob Speziesismus eine universellere, allgemeinere „Ideologie“ ist als Sexismus und Rassismus, wie z.B. der Tierrechtsphilosoph Peter Singer meint. Die „echte“ Geschichte hätte gezeigt, dass der erste Schritt der Herrschaft über die Natur durch die Zähmung der inneren Natur des Menschen entstanden ist.

Der klinische Psychologe Colin Goldner, Vorsitzender des Münchner „Forum für kritische Psychologie“ (dessen Tätigkeit u.a. darin besteht, unsaubere Machenschaften von Sekten aufzudecken und den Geschädigten Hilfestellung zu geben) informierte sehr anschaulich über die sonderbaren Lehren der religiösen Gemeinschaft „Universelles Leben“. Den oft zitierten Antisemitismusvorwurf gegen diese Glaubensgemeinschaft entkräftete er jedoch resolut, aber „alles andere reiche, um sich vehement von ihnen abzugrenzen!“ Dazu zählen abstruse Kulthandlungen, die Ausbeutung ihrer AnhängerInnen, eine rigide Reglementierung der Sexualität, undurchsichtiges Finanzgebaren sowie die haarsträubende Doktrin der „Prophetin Gabriele“, von der Goldner vermutet, dass sie an einer schizophrenen Persönlichkeitsstörung leide. Mit seinen Tierrechtsaktivitäten würde das UL seine eigene Ideologie verschleiern.

In ihrem Vortrag zu einer „Wissenschaft ohne Opfer“ appellierte Agnese Pignatoro dafür, in der Tierrechtsdebatte zukünftig auf das wissenschaftsimmanente Argument gegen Tierversuche zu verzichten, denn nicht nur die Vivisektion würde diese medizinwissenschaftliche Autorität unterstützen, sondern auch deren Einwand auf gleicher kontextueller Sprachebene. Vielmehr gelte es (und hier argumentierte sie mit Foucault), die Kontrolle des Körpers zu hinterfragen, über den diese Wissenschaft ihr Wissen produziere.

In einem Referat zu „Tierliebe, Tierschutz und Noblesse Oblige“ forderte Günther Rogausch, dem Speziesismus auf ideologiekritischer denn aus tierethischer Ebene zu entgegnen. Dieses diene sowohl der politischen Prozessbildung und wirke der Beliebigkeit und Austauschbarkeit differierender Konzepte von Tierliebe, Tierschutz und Tierrecht als bloßem Label entgegen. Dabei setzte er sich kritisch mit den ethischen Entwürfen von Bentham, Singer und Regan auseinander, die sich, wie weite Teile der Tierrechtsbewegung auch, auf Leid statt Unterdrückung und Ausbeutung beriefen, beklagte Rogausch.

Daran anknüpfend unterstrich Melanie Bujok in ihren Ausführungen über das „Widerstandsrecht“ Differenzen zwischen Herrschaft und Ausbeutung, die im Tier-Mensch-Verhältnis signifikante Bedeutung erlangen. Herrschaft liege nur dann vor, wenn der Beherrschte sich der Herrschaft nicht widersetze, sondern diese annehme bzw. sich nicht in geeigneter Form dagegen aussprechen kann. Bei Tieren handele es sich demnach um Ausbeutung und Unterdrückung. Sie diskutierte den Mangel tierlichen Drohpotentials und das Legitimitätsdefizit ihrer selbsternannten menschlichen VertreterInnen in der Tierbefreiungsbewegung, wobei sie „Solidarität“ als geeignete Herangehensweise offerierte.

Abschließend nahm sich Susann Witt-Stahl der Holocaustrhetorik und der vereinfachten Vereinnahmung der Shoah durch Teile der Tierrechtsbewegung an, welche sie exemplarisch an PETA’s Kampagne „Der Holocaust auf deinem Teller“ dokumentierte. Dabei charakterisierte sie diese als dumpfe Skandalisierung, die nicht nur das Singularitätsparadigma in Frage stelle, sondern sich bereits in der mythischen Figur der Juden als rhetorischer Figur historische und zeitgenössische Instrumentalisierung erfuhr und erfährt. Auch wenn Juden wie Tiere behandelt wurden, hieße das im Umkehrschluss nicht, dass Tiere wie Juden behandelt werden, sondern sie würden wie Tiere behandelt. Die identifikatorische Übernahme des „Juden“ und des Holocausts durch die antideutsche Bewegung etwa diene der mutwilligen und falschen Opferkreation. Gegen die antideutsche Bewegung fand sie sehr energische Worte und resümierte, dass man sich diesem Phänomen eher aus sozialpsychologischer Perspektive nähern sollte.

Tierbefreiung 51/Juni 2006, S. 66f.

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„Die Theorie ist nicht schuld an der Theoriefeindlichkeit“


Interview mit den Mitveranstaltern der „Tagung zur Kritischen Theorie für die Befreiung der Tiere“ Guido und Frank aus Hamburg

Frage: Ihr habt mit viel Aufwand die dreitägige Tagung zur „Kritischen Theorie für die Befreiung der Tiere“ mit auf die Beine gestellt. Welches Ziel habt ihr mit dieser Tagung verfolgt?


Antwort: Mit unserer Veranstaltung sind wir mehreren Anliegen nachgegangen. Einerseits soll die Kritische Theorie und ihre Ausführungen zum Mensch-Tier-Verhältnis zum Ausgang für eine kritische Theorie werden, die offensiv die gesellschaftliche Befreiung der Tiere fordert. Andererseits wollen wir Anstöße zur Kritik der Tierrechtsbewegung geben. Wesentlich ist dabei, was Marco Maurizi in seinen Thesen zum Antispeziesismus formuliert hat: „Er [der metaphysische Antispeziesismus] sieht das Phantom (den „Speziesismus“) als Ursache aller Gewalt, die bis zur Gegenwart an Tieren verübt wurde und wird. Tatsächlich ist Speziesismus – unser Glaube, dass der Mensch etwas Anderes und Höheres ist als jedes andere Tier – von nichts die Ursache; er ist vielmehr Effekt von etwas, das die metaphysischen Antispeziesisten (noch) nicht erklärt haben.“

Es geht uns folglich nicht mehr primär um eine falsche Idee von Tieren, der wir eine richtige Idee und ein ethisches Regelwerk an Handlungsanweisungen zu Tieren entgegensetzen müssten. Die Gewalt gegen sie, das tagtägliche Schlachten, die menschliche Tätigkeit der Zucht und der Produktion bewegt die Welt. Das Gros der Vorstellungen von der Ausbeutung der Tiere hat diese Gewalt selbst zum Nebenschauplatz der Gesellschaft erklärt. Es wird eine vegane Gesellschaft gefordert. Die Knechtung des Menschen wird nicht in Verbindung mit speziesistischer Unterdrückung gebracht oder stört sogar nicht einmal.

Durch die generelle Entpolitisierung der Tierrechtsbewegung ist es religiösen und autoritären Phänomenen wie dem Universellen Leben (UL), oder radikal marktorientierten Projekten wie Noah e.V., ein Leichtes, in die Tierrechtszusammenhänge einzudringen. Es gibt also keine erträgliche Zukunft für eine rein aktionistische Bewegung ohne theoretische Debatte. Wir wollen mit unserem Symposium Zugänge schaffen zu einer inspirierenden Arbeit an Theorie. Anstelle eines leeren Mottos („für die Tiere“), unter dem sich wie bisher alle möglichen Gruppierungen gleich welcher Gesinnung versammeln, soll der Kongress ein mögliches Profil schaffen, das gemeinsame Theorie und Auseinandersetzung voraussetzt. Der Versuch, unsere eigenen Positionen ideologiekritisch auszuarbeiten, könnte endlich auch robust sein gegen die Identitätspolitik der linken und der „antideutschen“ Szene.


Aus der Tagung wird ein Sammelband der Vorträge und weiterer Texte zu einem Zentralthema der Kritischen Theorie hervorgehen, das in ihrer Rezeption bisher weitgehend abgespalten war.

Frage: Was ist das Besondere an der Kritischen Theorie, dass ihr euch immer wieder mit ihr auseinandersetzt und immer wieder Zitate ihrer hauptsächlichen Vertreter Adorno oder Horkheimer verwendet?

Antwort: Die Kritische Theorie stellt unausweichliche Fragen zu den Verhältnissen der menschlichen Herrschaft über Menschen und Tiere.

Moshe Zuckermann hatte in unserem ersten Workshop im Sommer 2004 das Denkgebäude der „Frankfurter Schule“ in Kürze dargestellt. Er und Carsten Haker (in dem TAN-Reader „Leiden beredt werden zu lassen, ist Bedingung aller Wahrheit“ von 1999) haben gezeigt, wie schwierig das Verhältnis von Mensch und Tier zu denken ist und welche Voraussetzungen für seine Emanzipation von der „naturverfallenen Naturbeherrschung“ gegeben sein müssen. Die Kritische Theorie bezieht sich kritisch auf Vordenker, vor allem auf Karl Marx´ Analyse des Kapitalismus, und kann die Geschichte der Tierausbeutung durch die Gesellschaft erklären. Im Verstehen der Gesellschaft, im Prozess des In-den-Spiegel-Schauens durch das Denken, liegt für sie die Möglichkeit der Emanzipation. Sie will dasjenige bezeichnen, das verändert werden soll. Diese Herangehensweise wollen wir nachvollziehen.

Frage: Nun liegt die Tagung hinter euch. Welches Resümee zieht ihr? Ward ihr mit der ZuhörerInnenzahl zufrieden? Haben die Vorträge der einzelnen RednerInnen inhaltlich das gehalten, was ihr euch von ihnen versprochen hattet? Gab es etwas, was euch überrascht hat?

Antwort: Das Symposium hat tiefe Spuren hinterlassen. Den vielen Denkanstößen kann in so kurzer Zeit noch gar nicht nachgegangen werden. Marco Maurizis Brückenschlag zwischen marxistischer Geschichtsanalyse und Tierbefreiung liefert zahlreiche Ansatzpunkte für eine Generalüberholung unserer Tierrechtstheorie. Die Grenzen dieser Tierethik haben vor allem Christoph Türcke und Günther Rogausch aufgezeigt. Günther hatte an seine ausgiebige Analyse ideologisch-ontologisierender Aussagen über das Tier die Forderung nach einer politischen Moral gestellt.

Colin Goldners satirischer Ausflug in die Wahnwelten der Esoterikszene hat bei uns die Frage aufgeworfen, wieso religiös-autoritäre Sekten wie UL einen solchen Erfolg bei Menschen aus Tierschutz- und Tierrechtskreisen haben, an welchen Bedürfnissen sie ansetzen und wie ein Eingreifen möglich ist.

Susann Witt-Stahls Thesen zu ideologischen Parallelen zwischen „Antideutschen“ und Tierrechtspopulisten wie z.B. Helmut F. Kaplan, wenn es darum geht, die Opferidentitäten der im Holocaust ermordeten Juden und Jüdinnen zu fetischisieren oder sie sich instrumentalisierend anzueignen, besonders aber ihre Ausführungen über die Ambivalenz zwischen der Singularität von Auschwitz und der Kontinuität der Möglichkeit einer Regression in die Barbarei sind wichtig, sich zu vergegenwärtigen.


An dieser Stelle sei nochmals ein Dankeschön an alle ReferentInnen ausgesprochen.

Überrascht sind wir von der gelösten Atmosphäre, dem angstfreien Diskussionsklima und der Offenheit der ReferentInnen, die in den Pausen und an den Abenden stets ansprechbar waren. Einige von ihnen kommen nicht aus der Tierrechtsbewegung, umso erfreuter sind wir über ihr ernsthaftes Interesse. Ein Großteil der ReferentInnen war nach ihren Vorträgen geblieben, nahm an Diskussionen teil, brachte sich intensiv ein und half, Verständnisschwierigkeiten zu lösen.

Zu den bestbesuchten Vorträgen (Gunzelin Schmid Noerr, Christoph Türcke, Colin Goldner) kamen über 100 TeilnehmerInnen. Das übertraf die Erwartungen der meisten von uns bei weitem. Die Vorträge und Begegnungen haben uns begeistert.

Frage: Die Redner/innen hatten eine relativ lange Redezeit und danach folgte die Möglichkeit einer Aussprache zum Vortrag durch einzelne Wortmeldungen aus dem Auditorium. Würdet ihr bei einer erneuten Tagung alles wieder genauso machen? Oder habt ihr den Eindruck, dass die Veranstaltung so am reibungslosesten vonstatten gehen kann?

Antwort: Wir haben die Tagung ganz bewusst mit dem Fokus auf die fundierten Ausarbeitungen und die Präsentationen der ReferentInnen geplant, weil schließlich die Thesen aus den Vorträgen in den Artikeln des Sammelbands zu dem Kongress dokumentiert werden. Nach den Vorträgen hatte das Auditorium die Möglichkeit, Verständnisfragen zu stellen und zu diskutieren. Die Ergänzungen aus dem Auditorium sollten auch dem/der ReferentIn die Möglichkeit einräumen, ihre Thesen zu überprüfen. Leider mussten einige spannende Diskussionen abgebrochen werden, da wir den Zeitplan einhalten wollten. Allerdings haben wir während der Tagung genug Raum für Diskussionen geboten. Nach den Vorträgen war am Abend das Café noch lange geöffnet, so dass die TagungsteilnehmerInnen sich austauschen konnten. Außerdem hört die Diskussion nicht mit dem Ende der Tagung auf. Wir hoffen, dass die Tierbefreiungs-/Tierrechtsbewegung den Kongress zum Anlass nimmt, die angestoßenen Debatten weiterzuführen.

Frage: a) Wie geht ihr mit der Position von Teilen der Tierrechts/Tierbefreiungsbewegung um, die kritisieren, dass ihr eure Texte und Vorträge in einer so verklausulierten Sprache darbietet, dass nur geisteswissenschaftlich Studierte bzw. wissenschaftliche ExpertInnen diese verstehen und auch nur diese an theoretischen Diskursen teilhaben können?

Antwort: Die Frage ist: Wer will teilhaben bzw. wieso wollen Leute trotz ihrer Möglichkeiten ausdrücklich nicht teilhaben und woher kommt diese Verweigerungshaltung?

Die Materie ist oft kompliziert. Das lässt sich kaum leugnen. Aber Theoriearbeit stellt Anforderungen. Die Auseinandersetzung in der Theoriearbeit, das Nachdenken über gesellschaftliche Zusammenhänge ist keine Erleuchtung. Es erfordert Anstrengungen, aber auch Selbstkritik. Oft muss Altes neu eingeordnet, manchmal muss es abgeworfen werden.

So wenig wie ich erwarten kann, dass mich jemand vor die Peek & Cloppenburg- Filiale trägt und mir das Transparent hält, so anstrengend und dennoch produktiv kann die Annäherung an ideologiekritisches Denken sein. Wer nach der Tagung eine einfache und direkte Handlungsanleitung für die Tierbefreiungsbewegung erwartet, wird notwendigerweise enttäuscht. Wer tief greifende Erkenntnisse erlangen und weiterdenken will, kann sich auf den Band freuen.

Frage b) Gibt es keine Möglichkeit, die Gedanken und Inhalte der Kritischen Theorie und anderer theoretischer Reflexionen verständlicher zu gestalten? Schließt man nicht durch die nicht alltagsverständliche, theoretisch-wissenschaftliche Sprache bestimmte Gruppen der Tierrechts- Tierbefreiungsbewegung aus, und verstärkt man dadurch nicht noch die ohnehin bereits vorliegende weit verbreitete Theoriefeindlichkeit? Wie könnte man diesem Problem begegnen, ohne die Gefahr einer Simplifizierung der theoretischen Gedanken heraufzubeschwören?

Antwort: Die Theorie ist nicht schuld an der Theoriefeindlichkeit. Das Angebot, das wir machen – mit uns an Workshops zu Themen von Tierbefreiung und Gesellschaftstheorie teilzunehmen und zusammen zu diskutieren –, wird nicht auf den Veranstaltungen selbst kritisiert. Im Vorhinein unserer Vortrags-Treffen und allermeist von NichtteilnehmerInnen zeigt sich die Aversion gegen diese Auseinandersetzung. Die teilweise aggressiv gegen uns gewendete Verdrängung von Selbstreflexion der Bewegung passt gar nicht zu den Workshops, wie etwa denen mit Moshe Zuckermann, der ausführlich auf von AktivistInnen gestellte Fragen eingegangen ist und dem viel an der Verständlichkeit seiner einführenden Vorträge lag.

Sollte sich jemand ausgeschlossen fühlen, so ist es wichtig, selbstständig darauf hinzuweisen und nachzufragen, anstatt lediglich in Abwehrhaltung zu gehen.

Grüße
Guido und Frank

Dann herzlichen Dank für Eure Antworten.
Das Interview führte Tina Möller

 

  Tierbefreiung 51/Juni 2006, S. 68f.

 


 

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