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- Delphintherapie


 

 

Doc Dolphin - magischer Heiler oder ausgebeutete Kreatur?

Die Bilder kennt jeder: Geistig oder körperlich behinderte Kinder spielen und schwimmen mit Delfinen. Das macht ihnen nicht nur Spaß, sondern soll angeblich auch ihre Gesundheit deutlich verbessern. Betroffene Eltern scheuen weder Geld noch Aufwand, um ihren Kindern diese Delfintherapie zu ermöglichen. Doch wie es scheint, helfen die geschundenen Kreaturen nur den Anbietern.

Im Mythos der alten Griechen waren Delphine stete Begleiter der Götter. Apoll nahm gar selbst die Gestalt eines Delphins an, sein danach benanntes Heiligtum in Delphi galt als Mittelpunkt der antiken Welt. Die späten 1960er stilisierten Delphine zu Banner-trägern der amerikanischen New Age-Bewegung, Joan McIntyres Mind in the Waters, das ihnen höheres, ja kosmisches Bewusstsein zusprach und sie zu „Sendboten eines neuen Zeitalters“ erhob, wurde zum Kultbuch einer ganzen Generation. Als „geistiger Vater“ dieser mystischen Neuverklärung gilt der Bewusstseinsforscher John C. Lilly, der jahrelang Laborversuche mit Meeressäugern durchgeführt hatte. Auf einem LSD-trip Ende 1967 wurde ihm schlagartig das Unrecht bewußt, diese in einem Labor-„KZ“ einzusperren. Umgehend beendete er seine Versuche und setzte sich hinfort für umfassenden Schutz von Delphinen und anderen Meerestieren ein.

Inspiriert von Lillys Schriften entwickelte der Psychologe David E. Nathanson Ende der 1970er eine neuartige „Therapie“, die die „Weisheit der Delphine“ zur Arbeit mit behinderten Kindern zu nutzen suchte. In einem eigens begründeten Therapiezentrum in Florida setzte er Kinder unterschiedlichster Krankheits- oder Störungsbilder zu Delphinen ins Wasser, in der Annahme, allein die Begegnung mit den „sanften Riesen der Meere“ wirke sich irgendwie heilfördernd aus. Auf wissenschaftliche Validierung wurde in den Anfangsjahren großzügig verzichtet, der kommerzielle Erfolg, den Nathanson mit seiner „Dolphin Human Therapy“ (DHT) erzielte, wurde – und wird bis heute - als untrügerischer Gradmesser für deren Wirksamkeit angesehen.

1998 wurde das Konzept Nathansons in einer wissenschaftlichen Studie in sämtliche Einzelteile zerlegt. Die Neuropsychologen Lori Marino und Scott Lilienfeld von der Emory University in Atlanta wiesen unter anderem nach, dass „Dr.Dave“, wie Nathanson sich von Kindern, Eltern und Mitarbeitern nennen ließ, niemals auch nur den Versuch unternommen hatte, die Aufmerksamkeitsspannen der an seinem Institut behandelten Kinder, auf die er in seinen theoretischen Mutmaßungen zentral abstellte, vor und nach der Therapie vergleichend zu überprüfen. Sein Datenmaterial, gewonnen aus angeblich mehr als 50.000 Therapiesitzungen könne, ebenso wie seine Folgerungen daraus, „bestenfalls als nicht überzeugend“ bezeichnet werden.

Unbeirrt von der vernichtenden Kritik seitens der Wissenschaft, einschließlich massiver Einwände aus der meeresbiologischen und cetologischen Forschung (Cetologie=die Wissenschaft von den Meeressäugern), hielt Nathanson an seinem Konzept fest. Auf Jahre hinweg ausgebuchte Termine wogen schwerer als jedes Argument: letztlich brachte jedes Kind bis zu 7.000 US-Dollar in die Kasse. Kein Wunder, dass das Konzept Schule machte: Rund um den Globus schossen ab Ende der 1990er zahllose Delphin-therapiezentren aus dem Boden, an denen unter dem Signet „Dolphin Assisted Therapy“ (DAT) Nathansons Erfolgsrezept nachgeahmt wurde. Weltweit gibt es mittlerweile mehr als hundert Delphinarien, an denen DAT betrieben wird. Die Indikationspalette reicht von Autismus, Downsyndrom und geistiger Behinderung über Sprach- und Entwicklungsstörungen jeder Art hin zu Leukämie, Polio und Zerebralparese; selbst bei Kindern im Wachkoma seien erstaunliche Erfolge erzielt worden.

Das in der Regel 10-tägige Therapieprogramm ist jenseits aller Propaganda, über die die einzelnen Einrichtungen sich voneinander abzuheben suchen, überall das gleiche: die Kinder werden, ungeachtet der Art und des Schweregrades ihrer Behinderung oder Störung, täglich einer etwa eineinhalbstündigen „Behandlung“ unterzogen: nach 30minütiger Vorbereitung wird das Kind zur „eigentlichen“, ebenfalls 30 Minuten dauernden Therapie auf einen schwimmenden Ponton am Beckenrand verbracht, von wo aus es „seinen“ Delphin beobachten kann. Ein Therapeut führt nun allerlei physio- oder sprachtherapeutische Übungen mit dem Kind durch, in die der Delphin als „Motivator“ und „Verstärker“ miteingebunden wird.

Zu diesem Zwecke befindet sich ein Delphintrainer am Beckenrand, der dem Tier über Handzeichen Anweisungen erteilt: hat das Kind eine Übung absolviert - unabhängig davon, ob irgendeine Reaktion ersichtlich war -, führt der Delphin zur „Belohnung“, sprich: auf Kommando des Trainers, irgendeine Kapriole vor. Letztlich darf das Kind zusammen mit dem Therapeuten für kurze Zeit ins Wasser und den Delphin streicheln, ihm einen Ball oder Reifen zuwerfen oder sich von ihm quer durchs Becken ziehen lassen. In den verbleibenden 30 Minuten wird das Kind geduscht und umgezogen; zeitgleich findet ein Nachgespräch mit den Eltern statt, die das Geschehen auf dem Ponton bzw. im Wasser aus einiger Entfernung beobachten konnten.

Über die „direkte“ Therapiearbeit hinaus wird den Kindern ein mehr oder minder abwechslungsreiches Beschäftigungsangebot unterbreitet, bei dem sie in Einzel-betreuung oder in einer Gruppe singen, malen oder basteln dürfen. Sie erhalten Akupressur oder Craniosakraltherapie, selbst „energetisches Heilen“ (Reiki) findet sich unter den „begleitenden Fördermaßnahmen“. Für die Eltern oder sonstigen Begleit-personen gibt es verschiedene Urlaubs- und Freizeitaktivitäten.

Nahezu durchgängig wird behauptet, der heilende Effekt einer Begegnung mit Delphinen sei bedingt durch die Ultraschallfrequenzen der Klicklaute, die sie zur Echoortung abgeben. Belege dafür gibt es nicht, die Wahrscheinlichkeit einer Wirkung ist angesichts der kurzen Zeitspanne, in der die Patienten den Ultraschallwellen ausgesetzt sind, äußerst gering. Gleichwohl ist allenthalben die Rede von besonderen „Glückshormonen“, die der Ultraschall freisetze: sogenannten „Endolphinen“; auch davon, dass sich im Ultraschallfeld der Meeressäuger die „Gehirnwellen“ der davon erfassten Personen aus den Frequenzbereichen des Wachzustandes unmittelbar in einen Bereich tiefer Meditation verlagerten; letztlich träten sogar Tiefschlafwellen mit Aktivierung von Selbstheilungskräften auf.

Artgerecht ist nur die Freiheit

Eine artgerechte Haltung von Delphinen in Zoos und Freizeitparks ist prinzipiell nicht möglich, am wenigsten in einem der bis heute vielerorts anzutreffenden Betonbecken. Das gechlorte Wasser in diesen Becken schädigt Haut und Augen der Tiere. Sie sind ständigem Streß ausgesetzt, keine ihrer natürlichen Verhaltens-weisen kann sich entfalten. Vom Moment ihrer Gefangennahme an müssen sie mit Antibiotika und Betablockern behandelt werden, um überhaupt am Leben zu bleiben. Ihre Physiognomie, die an das fröhliche Lachen eines unbekümmerten Menschen erinnert, verdeckt ihr Leid. Die hohe Quote an Todesfällen in Delphinarien und die nahezu durchgängige Erfolglosigkeit von Nachzuchtprogrammen erfordern ständig Ersatztiere, die aus ökologisch hochproblematischen Wildfängen entnommen werden.

Die International Association of Human-Animal Interactions Organizations (IAHAIO), offizieller NGO-Partner der World Health Organization (WHO), hat in ihren 1998 vorgestellten Richtlinien für tierunterstützte Therapieverfahren (Animal Assisted Therapies/AAT) den Einsatz von Wildtieren - also auch Delphintherapie - ausdrücklich ausgeklammert.

Noch weiter in die Gefielde von Pseudowissenschaft und Esoterik begeben sich Autoren wie Michael Hyson vom Sirius Institute auf Hawaii, der behauptet, Delphine seien über ihr Sonar in der Lage, Menschen in Sekundenschnelle diagnostisch abzutasten und dabei jedwedes psychische oder körperliche Defizit, einschließlich genetischer Defekte, zu erkennen und über gezielte Klicklautbeschallung zu reparieren. Immer wieder ist von den hellseherischen und telepathischen Fähigkeiten der Delphine die Rede, Horace Dobbs, Autor des Szenebestsellers Dolphin Healing, behauptet gar, Delphine könnten über ihr Sonar „kosmische Lebensenergie“ (Ki) übertragen und seien damit „wahre Reiki-Meister“.

Jenseits des geballten Esoterikunsinns, der die Szene durchzieht, werden gelegentlich auch nachvollziehbare Faktoren wie Wasser, Licht, Luft, Bewegung angeführt, die, verstärkt durch das Urlaubsambiente in exotischer Umgebung, zu einem Gelingen der DAT beitrügen. Der entscheidende Wirkfaktor freilich liege immer in den magischen Heilkräften von „Doc Dolphin“.

Tatsächlich ist nichts von alledem tragfähig belegt. Für die Eltern behinderter oder kranker Kinder freilich spielt das keine Rolle, sie wollen verständlicherweise jede nur denkbare Möglichkeit ausschöpfen, ihrem Kinde zu helfen. Sie lassen sich dabei weder von wissenschaftlichen Befunden abhalten, noch von den immensen Kosten; noch nicht einmal von den gesundheitlichen Risiken für ihr Kind: Delphine können, entgegen ihrem Image, Menschen gegenüber ausgesprochen aggressiv werden, mehrfach schon kam es zu nicht unerheblichen Bissverletzungen; hinzu kommt das enorme Infektionsrisiko durch das in hohem Maße fäkalienbelastete Wasser.

Für viele Eltern bedeuten die Kosten einer DAT, die sich mit Flug und Unterkunft leicht auf 15.000 Euro summieren, eine ungeheuere Belastung, zumal die Kassen sich an den Kosten nicht beteiligen. Einschlägige Hilfsorganisationen vermitteln daher nicht nur Therapieplätze sondern leisten auch finanzielle Unterstützung. Zu deren bekanntesten zählt der 1995 von Kirsten Kuhnert, Mutter eines behinderten Kindes, begründete dolphin aid e.V., der unter der Schirmherrschaft des Autorennfahrers Prinz Leopold von Bayern und mit Werbeträgern wie Barbara Becker oder Howard Carpendale in großem Umfang Spendengelder sammelt. Alljährlich findet eine glamouröse „Dolphin’s Night“-Gala statt, bei der Großspender und Sponsoren umworben werden.

Seit 2004 betreibt dolphin aid auf der Karibikinsel Curaçao ein eigenes Therapiezentrum, vermittelt also Kinder und ihre Familien sozusagen an sich selber. Eine zweiwöchige Therapie beläuft sich auf 7.350 US Dollar zuzüglich Nebenkosten, bei bis zu 400 Familien pro Jahr ein einträgliches Geschäft. Ein anderer Hilfsverein, der 2001 begründete dolphin kids e.V. meldete im Zuge staatsanwaltlicher Ermittlungen wegen Veruntreuung von Spendengeldern Ende 2005 Insolvenz an. Viele Eltern verloren viel Geld, das sie auf dem Vereinskonto für eine DAT angespart hatten. Für den Verein hatte mithin der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Jürgen Rüttgers geworben.

DAT unterliegt keinerlei öffentlicher oder fachlicher Kontrolle, die Anbieter können in einem rechtlichen Grauraum betreiben, was immer sie gutdünkt. Eltern werden genötigt, Haftungsausschlusserklärungen zu unterzeichnen, kassiert wird vorab. Es existieren auch keinerlei Vorgaben zur Qualifikation der Therapeuten, in den meisten DAT-Zentren bringen sie allenfalls Vorerfahrungen aus einem Heilhilfsberuf mit.

Delphinlagune Nürnberg

Der 2006 vom Institut für Sonderpädagogik der Universität Würzburg vorgelegte Abschlußbericht „Delphintherapie“ diente dem Tiergarten Nürnberg, der selbst an der Studie beteiligt war, als wesentliches Argument in der Durchsetzung des seit Ende der 1990er in Planung stehenden millionenschweren Ausbau seines Delphinariums. Gegenstimmen, die seit Jahren auf Schließung der Anlage dringen, konnten mit dem Hinweis mundtot gemacht werden, die Verhinderung eines Ausbaus würde behinderten Kindern mögliche Hilfe vorenthalten.

Das Nürnberger Delphinarium weist eine extrem hohe Mortalitätsrate auf: seit Eröffnung der Anlage 1971 verstarben von 23 eingesetzten (Wildfang-)Delphinen 15 (65%) vorzeitig, von 21 „Nachzüchtungen“ kamen 17 (81%) noch im Mutterleib oder kurz nach der Geburt zu Tode. Dessen ungeachtet will man die Delphinhaltung fortsetzen: der auf 24 Millionen Euro veranschlagte Neubau einer „Delphinlagune“ - eine auf 1540qm ausgelegte unüberdachte Betonkuhle, in die letztlich 14 Delphine eingesetzt werden sollen - wurde Ende 2007 von der Stadtratsmehrheit durch-gewunken, nicht zuletzt in der Aussicht, Nürnberg als europaweit führenden DAT-Standort präsentieren zu können. Ende 2008 erfolgte der erste Spatenstich, die Anlage soll bis 2011 fertiggestellt sein.

Bei einem im Sommer 2007 im deutschen Bundestag veranstalteten Symposium sprachen sich führende Behindertenverbände entschieden gegen DAT aus. Maria Kaminski, Präsidentin des Bundesverbandes Autismus Deutschland betonte, es gebe „nach wie vor keine wissenschaftlichen Beweise dafür, dass eine Delfintherapie autistischen Kindern zu Förderung und Heilung verhilft.“ Ein flächendeckendes Netzwerk von Therapieangeboten und Beratungsstellen sei für betroffene Familien und Angehörige weitaus hilfreicher. Die Deutsche Kinderhilfe Direkt stellte fest, die grundlegenden Anforderungen an eine Therapiemethode würden bei DAT in keiner Weise erfüllt. Wie die Bundesregierung auf Anfrage mitteilte, gelte Delfintherapie nicht als anerkannte Heilmethode, es sei daher nicht beabsichtigt, entsprechende Zentren in Deutschland zu unterstützen.

Tatsächlich konnte keine der im Laufe der Jahre vorgelegten Arbeiten überzeugen. Eine 2003 vorgestellte Metastudie entdeckte durchwegs eklatante methodische Fehler und kam zu dem Schluß, dass die Behauptungen zur Wirksamkeit von DAT durch die vorhandenen Forschungsergebnisse nicht abgesichert sind. Daran konnte auch ein im gleichen Jahr an der Ludwig-Maximilian-Universität München veranstaltetes Symposium nichts ändern, bei dem ausschließlich Befürworter und Betreiber kommerzieller DAT-Zentren zu Wort kamen. Auch die Überprüfung von Arbeiten neueren Datums fiel alles andere als positiv aus, die bereits erwähnten Neuropsychologen Marino und Lilienfeld schrieben: „Ungeachtet dessen, dass DAT der breiten Öffentlichkeit ausgiebig angepriesen wird, sind die Hinweise, dass sie eine dauerhafte Verbesserung der Kernsymptome psychischer Störungen bewirke, gleich null“.

Mit Spannung wurden insofern die Ergebnisse eines Forschungsprojekts der Universität Würzburg erwartet, das im Delphinarium des Nürnberger Tiergartens durchgeführt wurde. Aufgeteilt in vier Gruppen wurden 93 schwerstbehinderte Kinder im Alter zwischen fünf und zehn Jahren untersucht: Die Experimentalgruppe (26 Kinder) wohnte mit Eltern eine Woche unter sozialpädagogischer Betreuung in einem Hotel und nahm jeden an DAT teil; die zweite Gruppe (25 Kinder) nahm an dieser nur ambulant und ohne Betreuung teil; die dritte Gruppe (13 Kinder) absolvierte eine vergleichbare Therapie mit sogenannten Nutztieren auf einem Bauernhof; eine Kontrollgruppe (29 Kinder) bekam keinerlei Behandlung. Vier Wochen vor der Therapiephase und vier Wochen sowie sechs Monate danach wurde mittels Fragebogen die Wahrnehmung von Eltern und Betreuern zu möglichen Verhaltensänderungen der Kinder erfasst; die Eltern wurden zudem interviewt. Überdies wurden die Interaktionen zwischen Eltern und Kindern per Video dokumentiert. Die zu klärenden Fragen waren, ob DAT zu einer Verbesserung der Kommunikationsfähigkeit und/oder des sozial-emotionalen Verhaltens der Kinder führe; ob sich die Eltern-Kind-Interaktion verbessere; ob es unterschiedliche Resultate gebe abhängig davon, ob DAT mit Betreuung und Urlaubsatmosphäre durchgeführt werde oder ohne; und ob die möglichen Wirkungen auch durch andere tiergestützte Therapien zu erzielen seien.

Der nach sechsjähriger Projektarbeit vorgestellte Abschlußbericht kam zu dem Schluß, DAT könne nunmehr als wirkbewiesen angesehen werden und empfahl, DAT als kommerzielles Angebot im Tiergarten Nürnberg fortzuführen. Bei Lichte besehen besagt die Studie freilich ganz anderes: Ein geringfügig signifikanter Wirkbeleg für DAT konnte nur mit einem der vier Messinstrumente, nämlich dem Elternfragebogen, erbracht werden. Das Elterninterview führte zu keiner weiteren Erkenntnis, auch in der Beurteilung durch die Betreuer sowie der Videoanalyse konnte kein Beleg gefunden werden. Tatsächlich haben also nur die Eltern angegeben, einen Effekt bei ihren Kindern wahrgenommen zu haben. Dieses Ergebnis läßt sich auch ganz anders erklären: Bei so viel investierter Zeit, Mühe und Hoffnung muß sich ganz einfach eine Wirkung zeigen, auch wenn es diese objektiv nicht gibt.

Die über Boulevardmedien und TV-Magazine vielkolportierte Behauptung, die Würzburger Studie habe die Wirksamkeit von DAT nachgewiesen, kann bestenfalls als heillose Überinterpretation des vorliegenden Datenmaterials gewertet werden. Tatsächlich konnte die Studie keinerlei messbare „Verbesserungen“ feststellen, alle vermeintlichen Effekte fanden ausschließlich in der subjektiven Wahrnehmung der Eltern statt.

Bleibt als Fazit: Kontakt zu Tieren kann eine Therapie unterstützen, allerdings nur, wenn er über einen längeren Zeitraum hin als Beziehung angelegt ist. Kurzzeitige Begegnungen wie bei DAT bewirken über den momentanen Erlebniswert hinaus gar nichts.

Colin Goldner

Psychologie Heute 4/2010

(Quellenangaben im Heft)

 

Delphintherapie ad absurdum geführt

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Dolphin Assisted Therapy (DAT) boomt: Ungeachtet massiver Bedenken seitens der Wissenschaft - von tierrechtlicher Seite ohnehin - bieten weltweit mehr als 100 Therapiezentren Hilfe für Kinder unterschiedlichster Krankheits- oder Störungsbilder an. Das Wesentliche der meist 10tägigen Behandlung liege in der Begegnung mit entsprechend trainierten Delphinen, die als Motivator und Verstärker für parallel dazu durchgeführte konventionelle Therapiemaßnahmen dienen, die aber auch über telepathische oder sonstig magisch-mystische Heilkräfte verfügen sollen.

Zumindest letzteres wird von eher unerwarteter Seite her ad absurdum geführt: der Psychologe und DAT-Begründer David E. Nathanson, dessen seit Anfang der 1990er bestehendes Delphintherapiezentrum in Florida vor dem Hintergrund sich verschärfender US-Bestimmungen zum Schutze gefangengehaltener Wildtiere im Jahre 2006 schließen musste, entwickelte die Idee, sein lukratives Geschäftsmodell anstatt mit lebenden Tieren mit einem computer-gesteuerten Kunstdelphin fortzusetzen. Er ließ sich von der renommierten Firma "Animal Makers Inc.", die ansonsten Tiermodelle für den Einsatz in TV- und Hollywoodproduktionen herstellt, einen lebensecht wirkenden Silikondelphin in Originalgröße anfertigen, der in der Lage ist, auf Knopfdruck bestimmte Schwimmbewegungen durchzuführen, Kopf und Schwanz zu heben, Wasser aus dem Blasloch zu spritzen und delphinspezifische Klickgeräusche von sich zu geben.

Mit dem 40.000 US$ teueren und als „Therapeutic Animatronic Dolphin“, kurz “TAD”, bezeichneten Delphinroboter führte Nathanson seine Therapiemaßnahmen mit teils schwerstbehinderten Kindern fort. In einer eigenen "Studie" mit Kindern unterschiedlicher Diagnosen verglich er den therapeutischen Effekt des Einsatzes realer Delphine mit dem seines Kunstdelphins und stellte fest, dass es bei Kindern mittlerer bis schwerer Behinderungsgrade keinerlei signifikanten Unterschied gebe, bei Kindern mit besonders schwerwiegenden Behinderungen hingegen der Einsatz des TAD teils gar größere Effektivität zeitige. Zusammenfassend schrieb er: "Interaktion mit dem TAD ergab den gleichen oder einen größeren therapeutischen Nutzen wie Interaktion mit realen Delphinen, und das ohne Einschränkungen seitens Umweltschutz, Behörden oder Gesetzgebung". Im Gegensatz zu realen Delphinen, bei denen ein Verletzungs- oder Infektionsrisiko nie ganz auszuschließen sei, könnten mit dem völlig gefahrlosen TAD auch Kinder unter drei Jahren behandelt werden. Überdies könne mit dem TAD Menschen an ihrem jeweiligen Wohnort, sprich: im örtlichen Schwimmbad geholfen werden, sie müssten keine aufwändigen und teueren Reisen mehr zu einem DAT-Zentrum unternehmen.

Nathansons Plan, mit dem TAD an die kommerziellen Erfolge seiner Arbeit mit realen Delphinen anzuknüpfen, scheiterte indes daran, dass Eltern seinem Versprechen, auch der Roboterdelphin führe zu "messbaren Fortschritten bei Kindern mit Autismus, Down Syndrom, Zerebralparese und anderen Diagnosen" nicht genügend Glauben schenkten und zu Therapiezentren außerhalb der USA abwanderten, in denen mit realen Delphinen gearbeitet wird.

Im Sommer 2010 eröffnete Nathanson insofern auf den Cayman Islands in der Karibik ein neues Therapiezentrum, in dem er gemäß seiner ursprünglichen Methode wieder gefangengehaltene Delphine für seine – längst als unsinnig erwiesene und von Fachleuten weltweit abgelehnte – Delphintherapie einsetzt. Den TAD hat er an die Herstellerfirma zurückverkauft, die seither im Internet nach einem neuen Käufer sucht. Von seiner Website ist die "Studie" über den "erfolgreichen Einsatz" des TAD verschwunden.

Nathansons offenbar ausschließlich von Kommerzgedanken geleiteten Experimente werfen ein bezeichnendes Schlaglicht auf den Tiergarten Nürnberg, der mit großem finanziellen Aufwand seit 2008 eine "Delphinlagune" errichtet. Ab Sommer 2011 soll dort auch "Delphintherapie" mit realen Delphinen angeboten werden - ein wesentliches Argument für die Durchsetzung der zigMillionen schweren Baupläne im Stadtrat -, gleichwohl, wie die Projektleiter einräumen, der "Aufenthalt der Kinder im Wasser bei den Delphinen für den erzielten Therapieeffekt ohne Bedeutung ist". Wenn also wirklicher Kontakt zwischen Kind und Delphin gar nicht erforderlich ist, vielmehr die Kinder laut Nürnberger Tiergarten nur einen Motivations- und Verstärkertoken brauchen - nach Nathanson genügt hierzu ein Plastikdelphin -, wozu dann der tierquälerische Aufwand mit realen Delphinen, die in Gefangenschaft grundsätzlich nicht artgerecht gehalten werden können?

Colin Goldner
Psychologie Heute 7/2010

(Quellenangaben im Heft)

 


 

 

 

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